Zanrelot ist ziemlich fix und fertig. In letzter Zeit haben sich die Ereignisse nur so überschlagen und er kam keinen Augenblick zur Ruhe. Auf der einen Seite soll er taktisch klug mit den Wächtern verhandeln, weil die Zukunft der Welt davon abhängt. Auf der anderen Seite spielt die Hälfte der Wächter verrückt und will ihn ermorden, und sein eigener Helfer spielt ebenso verrückt und benimmt sich unmöglich. Ah, wenn man vom Teufel spricht: Matreus ist zurückgekommen und blickt nun schuldbewusst zu Boden. Zanrelot hat es so satt! Alle meinen, sie könnten sich aufführen wie das Allerletzte und dann hinterher zerknirscht gucken und er soll ihnen verzeihen? Jedem, Matreus, Pinkas, der Menschheit schlechthin! Wer ist er denn, Jesus vielleicht? Manchmal möchte er ihnen echt allen entgegenschreien, dass er verdammt nochmal ein Dämon ist und noch ganz anders könnte! Vor allem, da er ja, egal, was er tut oder lässt, ohnehin immer nur Undank erntet!
Er ist so stinksauer und genervt, er möchte sie am liebsten alle zusammen ins Verlies stecken: die restlichen Wächter und Matreus und am besten die ganze, bescheuerte Welt! Alle in ein großes Verlies und dann Ruhe haben und niemanden mehr bekämpfen und niemandem mehr helfen müssen und nicht all ihre Klagen und Beschimpfungen hören und ganz in Ruhe eine leere Welt beherrschen! Ja, eine leere, friedliche Welt, wo niemand ihn anpöbelt, ob als unerwünschten Bastard oder ach-so-bösen Dämon oder untauglichen (Zieh-)Vater oder was auch immer! Er könnte sie grad alle mit den Köpfen zusammenhauen oder kurzerhand explodieren lassen, damit endlich Ruhe ist! Aber das tut er ja doch wieder nicht.
Trotzdem, Matreus könnte er jetzt mal richtig zusammenstauchen und die Wächterbrut gleich mit! Er ist gerade so schön in Fahrt. Doch da spürt er plötzlich ein Ziehen an seinem Umhang. Überrascht wendet er sich um - und erblickt die kleine Leo, die sich schutzsuchend an seinen Mantel klammert. Jetzt ist er einfach nur noch perplex und entwaffnet. Seit wann flüchtet sich denn jemand zu ihm? Das wäre ja ein Zeichen von... wie heißt das noch? Vertrauen?
Zanrelot langt mit einer Hand hinter seinen Rücken und berührt sie etwas unbeholfen. "Schon gut", murmelt er, "dir passiert nichts mehr." Otti faucht ihn an, wer denn das "Monster" Matreus in Sicherheitsverwahrung bringen würde? Zanrelot kennt Matreus so viel länger als er und weiß, dass er kein Monster ist. Aber er sieht auch mit Schrecken, dass er sich heute wie eines benimmt.
"Matreus!" herrscht er ihn sehr streng an, "was sollte das? Kannst du mir das mal erklären?" Doch statt einer Antwort zeigt Matreus ihm, dass er selbst verletzt ist, stammelt eine Entschuldigung und sinkt zu Boden. Normalerweise kümmert sich Zanrelot um Matreus, wenn es ihm schlecht geht. Er ist ja heute auch schon unter größten Qualen bis zum Herzen der Erde gegangen, um ihm Medizin zu holen. Aber jetzt kann er selbst nicht mehr. Matreus' unberechenbarer Zustand überfordert ihn. Er hat allmählich kein Mitgefühl mehr übrig, außer für sich selbst - zumal er ohnehin der Einzige ist, der welches für ihn hat. "Ach, jetzt spielst du wieder den Sterbenden!" schreit er ihn entnervt an, "zum Teufel, dann stirb doch! Na, mach doch, stirb doch! Ein Problem weniger!" Natürlich meint er das nicht wirklich, aber ihm brennen gerade alle Sicherungen durch. "Wieso bist du überhaupt verletzt?" fragt er, "keiner hat dir was getan. Hast du dich selbst verletzt, nur damit der dumme, alte Zanrelot sich wieder um dich kümmern darf? Vergiss es!" Er befreit sich sanft aus Leos Griff, geht zu dem am Boden liegenden Matreus und schüttelt ihn. "So, du wachst jetzt auf, hörst du!" Als das nicht geschieht, greift Zanrelot zu einem unangenehmen, aber probaten Mittel: Er versetzt Matreus einen ordentlichen Energieschock aus seinem grünen Fingernagel. "So, nun bist du wach", faucht er ihn an, "und jetzt trink einen ordentlichen Schluck Elixier, dreh die Schrauben in deinem Kopf fest und benimm dich! Sonst teilst du bald das Quartier mit Karo und Pinkas. Sozusagen als Ausnüchterungszelle, oder glaubst du, ich merke nicht, was mit dir los ist?"
Er will grünes Elixier für Matreus holen, doch dabei ereilt ihn der nächste Schock: Das Fass hat ein Leck und es ist schon sehr viel von dem kostbaren Lebensquell ausgelaufen! "Nein!" stöhnt Zanrelot verzweifelt. Was kann denn an einem einzigen Tag noch schiefgehen? Hektisch tigert er auf und ab, repariert das Leck und befördert mit einem Sammelzauber so viel Elixier wie möglich ins Fass zurück. Doch es ist trotzdem eine beträchtliche Menge verloren gegangen und der Rest ist jetzt verunreinigt. Nach getaner Arbeit lässt Zanrelot sich erschöpft auf seinen Stuhl fallen und blickt Leo und Otti an. "Na, zufrieden?" fragt er, denn ganz bestimmt wünschen das Mädchen, dem er gerade geholfen hat und ihr Kamerad ihm nur Schlechtes, ebenso wie ihre mörderischen Geschwister, sein eigener Sohn und vermutlich sogar sein "Getreuer", Matreus. Sein Blick sucht Sandy, als hätte sie nicht auch Grund genug, ihn zu hassen. Aber irgendwie erhofft er sich von ihr immer irgendwas, er weiß selbst nicht recht, was.